Auf dem Weg zur Konferenz über die Zukunft der EU

Von Stefan Padberg, Moderator des AK Europa von Mehr Demokratie (DE), unter Mitwirkung von Karl-Martin Hentschel und Vladimir Rott.

Am 15. Januar hat das EU-Parlament eine „Entschließung zur Konferenz über die Zukunft Europas“ verabschiedet. In ihr beschreibt das Parlament seine Vorstellungen von Umfang, Konzept, Struktur, Ablauf und Zeitplan dieser von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einberufenen Konferenz. Diese Vorschläge sind, was Umfang, Differenziertheit, Transparenz- und Partizipationsanforderungen angeht, mit das Beste, was ein EU-Organ jemals beschlossen hat. Fast möchte man sagen: Wenn auch nur ein Bruchteil dessen umgesetzt würde, wären wir einen Riesenschritt weiter in der Beteiligungskultur auf EU-Ebene. Darüberhinaus: Diese Vorschläge setzen auch Maßstäbe für die Beteiligungskultur in den Mitgliedsländern, in denen die Beteiligungskultur noch relativ unterentwickelt ist wie z.B. in Deutschland.

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Inhaltsverzeichnis

  1. Eine Herausforderung für Beteiligungskultur
  2. Der Parlamentsvorschlag unter der Lupe
  3. EU-weites Referendum am Schluss
  4. Zusammenfassung

1. Eine Herausforderung für Beteiligungskultur

Lassen wir mal beiseite, dass u.U. die „Zukunft der EU“ und die „Zukunft Europas“ nicht ganz identisch sind. Einen Beteiligungsprozess über eine solche Breite von Themen für eine solch große Anzahl an Bürgerinnen und Bürger in 27 Mitgliedsländern und 24 Amtssprachen zu organisieren, ist absolutes Demokratie-Neuland. Niemand hat so etwas jemals gemacht, keiner weiß genau, wie es gehen kann. Das Projekt ist von seiner Größenordnung und Komplexität her so gigantisch, dass man nicht erwarten sollte, die Entschließung des EU-Parlaments habe alle Probleme gelöst. Mit gehässigen Kommentaren über die „Bürgerferne der Brüsseler EU-Bürokraten“ sollte man sich zurückhalten. Sie sind zwar verständlich vor dem Hintergrund der eher akklamativen Bürgerbeteiligungsformate, die wir von der EU-Kommission bisher gewohnt waren. Dennoch sollten wir offen dafür sein, dass sich hier Möglichkeiten bieten, für mehr Mitsprache und Bürgerbeteiligung einzutreten und so für eine demokratischere EU zu werben. Es ist hier eine der seltenen Situationen in der Politik, dass der „gute Wille“ das Entscheidende ist. An ihn sollten wir anknüpfen.

Weniger gute Anknüpfungspunkte bietet die „Mitteilung der EU-Kommission über die Gestaltung der Konferenz über die Zukunft der EU“. In ihr scheint noch das alte Bild einer reinen Bürgerkonsultation als Stakeholder-Veranstaltung durch. Von ausgelosten Bürgerräten und deliberativen Prozessen liest man dort sehr wenig. Hoffnungsvoll stimmt allerdings, dass Kommissarin Dubravka Šuica gegenwärtig durch verschiedene EU-Länder reist, um sich ein konkretes Bild von Beteiligungsprozessen zu machen. Dabei hat sie beispielsweise die belgischen ausgelosten Bürgerräte als beispielgebend bezeichnet.

1.1 Dialog zwischen Bürgerforen und Konferenzplenum

Aus der Sicht der EU-Parlamentarier sollte die Zukunftskonferenz als „gemischte Konferenz“ organisiert werden. Das Kernstrukturelement des auf zwei Jahre angelegten Konferenzprozesses ist der Dialog zwischen themenbezogenen Bürgerforen (engl. Citizens‘ agoras), an denen zwei- bis dreihundert ausgeloste Bürgerinnen und Bürger teilnehmen sollen, und dem Konferenzplenum (engl. Conference plenary), das sich grob gesagt aus Vertretern aller relevanten Institutionen auf der EU-Ebene und der nationalen Parlamente zusammensetzt und ebenfalls auf etwa zweihundertfünfzig bis dreihundert Teilnehmer/innen kommen dürfte. Hinzu kommt noch ein Jugendforum (engl. Youth agora), an dem 16- bis 25-jährige EU-Bürger/innen teilnehmen sollen.

Gesteuert wird der Prozess durch einen Lenkungsausschuss (engl. Steering Committee), der sich aus Vertreter/innen aller drei EU-Organe zusammensetzt. Dieser wählt einen geschäftsführenden Koordinierungsvorstand (engl. Executive Coordination Board), welcher den gesamten Konferenzablauf organisieren soll und von einem Sekretariat unterstützt wird.

1.2 Tagungsrhythmen und Ablauf

In der Parlamentsentschließung wird vorgeschlagen, dass das Konferenzplenum zweimal pro Halbjahr im Europäischen Parlament zusammentreten soll. Der Versammlungsort ist also in Brüssel (oder Straßburg), und wenn der Konferenzprozess auf zwei Jahre angelegt ist, bedeutet das, dass das Plenum am Ende acht Mal getagt haben wird.

Die Bürgerforen hingegen sollen an verschiedenen Orten in der EU stattfinden. Jedes Forum behandelt ein eigenes Thema und hat eine eigene ausgeloste Zusammensetzung, die sich aber während des gesamten Konferenzprozesses nicht ändern soll, um Kohärenz und Konstanz in der Debatte zu gewährleisten. Über den Tagungsrhythmus wird gesagt: mindestens zwei Sitzungen, um einen Beitrag zum Konferenzplenum zu erarbeiten und um eine Rückmeldung vom Konferenzplenum „im Dialogformat“ zu erhalten. Das Jugendforum soll ebenfalls mindestens zweimal tagen, einmal zu Beginn und einmal zum Ende der Konferenz.

1.3 Die Themenschwerpunkte

Als Beratungsthemen schlägt das Parlament vor:

  • europäische Werte, Grundrechte und Grundfreiheiten
  • demokratische und institutionelle Aspekte der EU
  • ökologische Herausforderungen und die Klimakrise
  • soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung
  • wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Fragen einschließlich Besteuerung
  • digitaler Wandel
  • Sicherheit und die Rolle der EU in der Welt

Außerdem möchte das Parlament, dass die Themen „Spitzenkandidatenverfahren“ und „transnationale Listen“ beraten werden. Es wird ausdrücklich betont, dass diese Aufzählung nicht als abschließend verstanden werden soll.

1.4 Ergebnissicherung und politische Umsetzung

Für den Erfolg der Konferenz ist eine gute Ergebnissicherung entscheidend. Am Ende soll die Zukunftskonferenz konkrete Empfehlungen aussprechen, die von den EU-Organen in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden sollten. Eine interinstitutionelle Vereinbarung, mit der die drei wichtigsten EU-Organe sich über den Ablauf und Umfang der Konferenz einigen, soll dies absichern. Das Parlament verpflichtet sich in der Entschließung in vorbildlicher Weise auf jeden Fall schon jetzt dazu, die Ergebnisse der Konferenz weiterzuverfolgen und fordert die anderen beiden Institutionen auf, dies ebenfalls zuzusichern. Falls nötig sollen Vertragsänderungen eingeleitet werden.

1.5 Vollständige Transparenz

Es versteht sich von selbst, dass alle Sitzungen aller Foren und Plenen per Webstream übertragen werden und dass alle Dokumente und Entschließungen öffentlich zugängig sein sollen. Außerdem sollen zu gegebener Zeit Eurobarometerumfragen in den Konferenzablauf einbezogen werden. Die organisierte Zivilgesellschaft, Universitäten, Forschungszentren und Denkfabriken in ganz Europa sollen sich für den Erfolg der Konferenz engagieren, ihr Fachwissen würde benötigt und in „vorbereitenden Sitzungen“ einbezogen.

2. Der Parlamentsvorschlag unter der Lupe

Die Parlamentsentschließung ist der erste offizielle Debattenbeitrag im interinstitutionellen Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat. Die EU-Kommission hat am 20.1.2020 eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie ihre eigenen Vorstellungen die Zukunftskonferenz betreffend darlegt. Diese sind leider wesentlich weniger konkret als die Parlamentsentschließung. Jetzt ist der Rat am Zug und muss dazu Stellung nehmen und ggf. Alternativvorschläge vorlegen. Die Diskussion über die Struktur und den Ablauf der Zukunftskonferenz ist also noch nicht zu Ende. Es lohnt sich deshalb, den Parlamentsvorschlag etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und zu überlegen, an welcher Stelle noch Verbesserungen möglich oder nötig sind.

2.1 Themenfindung

In der Entschließung werden sieben Kernthemen genannt, die man sich behandelt wünscht. Daraus ergibt sich, dass es mindestens sieben Themen bezogene Bürgerforen geben soll, die zu diesen Fragen arbeiten werden. Es wird darüber hinaus darauf hingewiesen, dass diese Themen nur als Vorschlag gemeint sind.

Es wird aber leider kein Verfahrensweg aufgezeigt, wie man zusätzliche Themen einbringen kann. Es wird auch an keine Überprüfung gedacht, ob die vorgeschlagenen Themen überhaupt auf Resonanz stoßen. Meiner Ansicht nach fehlt hier eine Vorphase, in der Themen von Bürger:innen und Zivilgesellschaft vorgeschlagen werden können. Sie könnten dann in transparenter Weise geclustert und zu Schwerpunktthemenpaketen verdichtet werden. Daraus würden sich dann die Themenforen ergeben.

Beim Demokratie-Bürgerrat in Deutschland 2019, der auf Initiative und im Auftrag verschiedener NGOs und Stiftungen durchgeführt worden ist, ist man so vorgegangen, dass in Regionalforen Themen gesammelt wurden. Dies könnte für die Zukunftskonferenz ebenfalls ein geeigneter Weg sein. Es könnte z.B. eine halbjährige Vorphase geben, in der nationale oder/und regionale Foren stattfinden, bei denen Themen eingesammelt und vorsortiert werden.

2.2 Verfahrenshoheit und ergebnisoffene Debatte

In diesem Zusammenhang sollte deutlicher herausgestellt werden, dass die Verfahrenshoheit für alle Bürgerforen NICHT bei den EU-Institutionen liegt, sondern bei unabhängigen Dienstleistern, die auf die Durchführung solcher Konsultationsverfahren spezialisiert sind. In Punkt 11 der Entschließung wird nur davon gesprochen, dass die Zufallsauswahl von unabhängigen Institutionen durchgeführt werden soll. Meiner Ansicht nach sollte aber der gesamte Beteiligungsteil der Konferenz in unabhängige Hände gegeben werden. Nur so kann eine wirklich unabhängige und ergebnisoffene Debatte unter den Bürger:innen gewährleistet werden.

Ich halte es auch nicht für geschickt, Politiker wie Guy Verhofstadt als Präsident der Konferenz vorzuschlagen. Er hat sich in den letzten Monaten vehement für eine Reform der EU im Sinne einer Stärkung der EU-Institutionen und einer Schwächung der Macht der Regierungen ausgesprochen. Es würde mit Sicherheit eine große Herausforderung für ihn werden, einem ergebnisoffenen Dialogprozess vorzustehen, denn es könnte ja sein, dass die Bürger:innen gerne einen teilweisen Rückbau der EU vorschlagen, indem sie verschiedene Kompetenzen wieder näher an die Mitgliedsländer oder an die Regionen verlagern möchten. Die Glaubwürdigkeit der Zukunftskonferenz hängt meiner Ansicht nach stark von der Neutralität der Organisatoren ab.

2.3 Breite Beteiligung und öffentliche Aufmerksamkeit

Nationale (in den großen Mitgliedsländern u. U. auch mehrere regionale) Bürgerforen sind ein gutes Mittel, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Prozess zu lenken. Beim Demokratie-Bürgerrat in Deutschland 2019 haben Presse und Fernsehen gerne und relativ ausführlich über die regionalen Vorkonferenzen berichtet. Für die Zukunftskonferenz könnte dies ebenfalls von großem Vorteil sein.

Beteiligungsprozesse mit gelosten Bürgern haben u.a. den Nachteil, dass der eigentliche Prozess nur wenige Tage dauert und nur relativ wenige Menschen in ihn involviert sind. Zudem sind solche Beratungsprozesse teilweise auch nicht-öffentlich, um eine unvoreingenommene Diskussion und Meinungsbildung zu ermöglichen. Es ist deshalb ein starkes Augenmerk bei der Planung darauf zu richten, wie man öffentliche Aufmerksamkeit für den Prozess generiert. Hierzu finden sich in der Mitteilung der Kommission sehr viele Ideen und Hinweise, die auf jeden Fall in die interinstitutionelle Vereinbarung übernommen werden sollten.s in the Commission's communication, which should definitely be incorporated into the interinstitutional agreement.

2.4 Nationale Diskurskulturen berücksichtigen

Nationale Vorkonferenzen haben außerdem den Vorteil, dass die Bürger:innen und die zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem ihnen vertrauten nationalen Kontext debattieren können. Die Themen, die auf diesem Wege vorgeschlagen werden, sind genau die, die ihnen am Herzen liegen. Wenn diese Themenvorschläge aus den verschiedenen Ländern dann verdichtet werden, kann sich schnell zeigen, wo nationale Unterschiede in der Wahrnehmung der Probleme und in der Ausrichtung der Änderungsvorschläge bestehen und wo deshalb besondere Moderationselemente oder Verständigungsbemühungen eingeplant werden müssen.

Alle diese Argumente sprechen meiner Ansicht nach für eine gut geplante erste Phase mit nationalen Vorforen. Ich denke, man sollte hierfür ein gutes halbes Jahr einplanen.

2.5 Zusammenspiel zwischen Bürgerforen und Konventsplenum

Die Erfahrungen, die wir gegenwärtig mit Bürgerräten haben, belegen, dass sie genügend Zeit benötigen, um wirklich gute Ergebnisse zu erbringen. Je komplexer das Thema und je kontroverser die Debatte, desto mehr zeitliche Ressourcen müssen eingeplant werden. Ein Forum zu Beginn und eins am Ende, wie es in der Parlamentsentschließung angedeutet wird, sind mit Sicherheit zu wenig.

Man muss bedenken, dass die Debatten in diesen Bürgerforen im Prinzip in den 24 Amtssprachen der EU abgehalten werden. Das alleine kostet schon viel Zeit, sodass man eher davon ausgehen kann, dass ein Bürgerforum mindestens sechs, u.U. sogar acht Wochenenden tagen wird, bevor es ein Gutachten erstellt haben wird. Es liegt also nahe, nach der vermutlich halbjährigen Vorphase mit den nationalen Vorforen eine halbjährige Beratungsphase für die Themenforen vorzusehen.

Jetzt erst, also nach ca. einem Jahr, im Frühjahr 2021, um genau zu sein, käme das Konferenzplenum ins Spiel. In ihm sind Vertreter:innen aller EU-Institutionen inkl. der nationalen Parlamente versammelt und sichten diese Bürgergutachten und müssen sie in rechtlich wasserdichte, institutionell operationalisierbare Politikvorschläge ummünzen.

2.6 Deliberative Bürgerbeteiligung ermöglichen

Wenn man die Entschließung des Parlaments liest, hat man eher den Eindruck, dass das Konferenzplenum der zentrale Ort der Verhandlungen ist und dass die Entschließungen aus den Bürgerforen lediglich in die laufenden Beratungen „einfließen“. Wie sie dort Berücksichtigung finden, ist letztendlich unklar. Im ungünstigsten Fall wird den Forumsteilnehmern „im Dialogformat“ erklärt, warum ihre Vorschläge nicht berücksichtigt werden konnten.

Die institutionellen Akteure haben eine klar umrissene Agenda. Sie ist in Punkt 14 der Parlamentsresolution definiert. Die Gefahr ist groß, dass die Institutionsvertreter:innen und die Bürgerforen aneinander vorbei agieren. Am Ende entsteht dann der Eindruck, die Bürgervorschläge seien nicht genügend berücksichtigt worden.

Nach meiner Vorstellung sollte sich das Konferenzplenum als Politikexpertengremium verstehen, dass den Bürger:innen eine Rückmeldung zu ihren Bürgergutachten gibt, inwieweit deren Vorschläge umsetzbar sind oder nicht. Die im Punkt 14 aufgezählten Themen sollten nur als Vorschläge für die Themenfindungsphase benutzt werden und sollten im Konferenzplenum keine weitere Beachtung finden. Im Plenum sollte nur das beraten werden, was vorher durch ein Themenforum beschlossen worden ist. Es sollte also nach der Themenfindungsphase und der Forumsphase eine Dialogphase folgen, in der die Vorschläge der Themenforen durch die institutionellen Profis auf Realitäts- und Politiktauglichkeit geprüft werden. Sie könnten dann gegebenenfalls noch „im Dialogformat“ modifiziert werden.

2.7 Umsetzung der Beratungsergebnisse

Danach haben die Bürgerforen ihre Arbeit getan, und es ist jetzt an den Politiker:innen im Konferenzplenum, die verschiedenen vorgeschlagenen Maßnahmen in eine auf EU-Ebene operationalisierbare Form zu bringen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten:

a) Verordnung

Bestimmte Vorschläge werden in den Zuständigkeitsbereich der Kommission fallen und können von ihr auf dem Verordnungsweg umgesetzt werden. Dies sollte ihr nicht schwerfallen, denn diese Vorschläge haben ja die Zustimmung im Konferenzplenum erhalten.

b) Richtlinie

Bestimmte Vorschläge werden in den Zuständigkeitsbereich von Rat und Parlament fallen. Auch hier gilt, dass diese eigentlich sofort umgesetzt werden können, denn das Konferenzplenum ist ja letztendlich nichts anderes als ein gigantischer Trilog. Und da die nationalen Parlamente ebenfalls in diesem Prozess vertreten sind, sollte es möglich sein, dass die entsprechenden Maßnahmen schnell in nationales Recht umgesetzt werden können.

c) Vertragsänderung

Wichtige Änderungen am institutionellen Aufbau oder Aufgabenzuschnitt der EU-Organe bedürfen einer Vertragsänderung. Hierzu muss ein Vertragsänderungskonvent von allen Mitgliedsstaaten einberufen werden. Je nachdem wie klein oder groß die vorgeschlagenen Vertragsänderungen sind, kann dies in einem der „Vereinfachten Änderungsverfahren“ (Art. 48 Abs. 6-7) geschehen. Ansonsten muss das „Ordentliche Änderungsverfahren“ (Art. 48 Abs. 2-5) zur Anwendung kommen.

2.8 Einbeziehung des Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 EUV

Wenn die Beratungen und die Beschlussfassung im Konferenzplenum gut waren und eindeutige Ergebnisse erbracht haben, sollte die Vertragsänderung nur eine Formalie sein. Um zu verhindern, dass die Debatte über die Vertragsänderungen wieder von vorne beginnt, sei es im Rat oder in dem einzuberufenden Vertragsänderungskonvent, könnte man so vorgehen: Das Parlament könnte sofort nach Abschluss der Konferenz einen Antrag gem. Art. 48 stellen, der Rat könnte dem sofort stattgeben. Und die Zusammensetzung des Konvents könnte genau dieselbe sein wie das Konferenzplenum. Alle Teilnehmer:innen kennen sich und wissen Bescheid und beschließen alles das, was sie vorher im Rahmen der Zukunftskonferenz beraten haben.

Diese Vorgehensweise müsste selbstverständlich fest verabredet und in dem interinstitutionellen Vertrag für die Konferenz vorher festgeschrieben worden sein.

3. EU-weites Referendum am Schluss

Was aber machen wir, wenn die Deliberation nicht gut genug war und die institutionellen Profis die Bürger:innen nicht richtig zu Wort haben kommen lassen? Für diesen Fall sollte vorgesehen werden, dass auf jeden Fall am Schluss ein Referendum über die Vorschläge stattfinden muss. Schon alleine dadurch, dass alle Beteiligten wissen, dass am Ende ein Referendum stattfindet, kommt eine zuverlässigere Orientierung auf die Vorschläge der Bürgerforen zustande.

3.1 Referenden und Konvent nach Art. 48 EUV

Mehr Demokratie wirbt in dem Positionspapier „Für einen Europäischen Bürgerkonvent“ dafür, dass die Ergebnisse der Beratungen eines Konvents den Bürger:innen zur Abstimmung vorgelegt werden sollen. Allerdings dachten wir dabei an einen Konvent, der nur zu dem Zweck einberufen würde, eine Verfassung zu erarbeiten. Er sollte aus gewählten Vertretern bestehen und das Beratungsergebnis sollte in einem EU-weiten Referendum bestätigt werden müssen. Ein solches Referendum würde die größte öffentliche Aufmerksamkeit für die Verfassung erregen und sie stark im Bewusstsein und in den Herzen der Bürger:innen verankern.

Dabei war die Frage unerheblich, ob ein solcher Konvent nach Art 48 EUV einberufen würde oder aufgrund einer speziellen Vereinbarung der Mitgliedsländer oder noch auf ganz anderen Wegen. Die Frage, wie ein Referendum in einen Konvent nach Art. 48 EUV integriert werden könnte, haben wir deshalb nie genauer untersucht. In Art. 48 EUV ist nur die Rede davon, dass jedes Mitgliedsland die Vertragsänderungen gemäß seinen eigenen verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifizieren muss.

Die Ratifizierungsprozesse sind in den meisten EU-Staaten parlamentarische Prozesse, in einigen müssen nationale Referenden durchgeführt werden. Ein originäres EU-weites Referendum gibt es in den EU-Verträgen bis jetzt nicht. Will man Vertragsänderungen mit Referenden verbinden, gibt es nur die Möglichkeit, die Parlamente oder Regierungen nationale Volksbefragungen durchführen zu lassen, an deren Ergebnis sie sich freiwillig binden sollten.

Nationale Referenden werden in so einem Setting u.U. nicht am gleichen Tag durchgeführt. Es würde dann nicht unmöglich, aber schwerer, sie als ein EU-weites Referendum zu erleben.

3.2 EU-weites Referendum über das Beratungsergebnis

Ein Ausweg bietet folgende Variante, die von der ECI Campaign und Meer Democratie (NL) vorgeschlagen worden ist: Ein EU-weites Referendum direkt nach der Zukunftskonferenz über das Beratungsergebnis. Das wäre eine gute Möglichkeit, ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erreichen und die Legitimation des Ergebnisses zu erhöhen. Dadurch würden – im Gegensatz zu einem Referendum nach einem Konvent gem. Art. 48 - auch die Ergebnisse zur Abstimmung gestellt, die nicht durch Vertragsänderung umgesetzt werden müssen.

Rechtlich wäre dies kein Problem, denn die verfahrenstechnische Ausgestaltung der Zukunftskonferenz ist im Wesentlichen zwischen den EU-Organen frei verhandelbar. Sie unterliegt nicht den EU-Verträgen. Es muss nur in der interinstitutionellen Vereinbarung über die Durchführung der Konferenz sichergestellt werden, dass ein gegebenenfalls einzuberufender Vertragsänderungskonvent die Debatte nicht nochmal aufmacht, sondern die Vorschläge quasi nur „durchwinkt“.

4. Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen:

  • Der vom EU-Parlament vorgeschlagene Konferenzprozess ist ein Meilenstein in der Beteiligungskultur der EU.

  • Eine von den Bürger:innen gesteuerte Themenfindung muss noch deutlich verbindlicher gestaltet werden. Dabei dürfen die Vorschläge des EU-Parlaments für die zu behandelnden Themen den Bürgerforen nicht aufoktroyiert werden. Vorschläge für einen partiellen Rückbau von EU-Kompetenzen dürfen nicht unter den Tisch fallen.

  • Für die Themenfindung könnten nationale und/oder regionale Bürgerkonferenzen hilfreich sein.

  • Die Themenforen müssen durch nicht-institutionelle professionelle Träger organisiert werden, die die Neutralität des Beratungsprozesses garantieren und eine ausreichende Deliberation sicherstellen.

  • Das Konferenzplenum berät die Bürgerforen und hilft ihnen dabei, umsetzbare Vorschläge zu entwickeln.

  • Kommission, Parlament und Rat verpflichten sich in der interinstitutionellen Vereinbarung dazu, die Vorschläge der Konferenz umzusetzen.

  • Nach dem Beratungsprozess findet ein EU-weites Referendum statt, in dem das Beratungsergebnis durch die Bürger:innen bestätigt werden muss. Schön wäre es, wenn diese Abstimmung am 9. Mai 2022 stattfinden würde.

  • Falls ein Vertragsänderungskonvent einberufen werden muss, wird in der interinsti­tu­tio­nellen Vereinbarung in geeigneter Form sichergestellt, dass dieser die Vorschläge eins zu eins verabschiedet.

Weitere Infos

Entschließung des EU-Parlaments über die Konferenz zur Zukunft der EU:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-01-15_EN.html#sdocta10

Mitteilung der EU-Kommission über die Gestaltung der Konferenz zur Zukunft Europas:
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/communication-conference-future-of-europe-january-2020_de_0.pdf

MD-Positionspapier „Für einen Europäischen Bürgerkonvent“:
https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/Positionen15_Konventsvorschlag.pdf

Meer Democratie (NL): „Citizens' conference must be followed by a referendum“
https://www.meerdemocratie.nl/citizens-conference-future-europe-must-be-followed-referendum

Informationen zu Bürgerräten in Deutschland:
https://www.buergerrat.de/

brf.br: „Austausch mit dem Bürgerrat: Vizepräsidentin der EU-Kommission in Eupen“,
https://brf.be/regional/1354327/

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